Essay

Die Vorarbeit, der intellektuelle Einsatz und eine entsprechend ernsthafte Beschäftigung mit der Materie sind notwendig, um dem Anliegen der Malerei gerecht zu werden. Malerei sei von vorgestern und ausgestorben, ist
eine genauso unsinnige Aussage, wie wenn wir sagen würden, das Klavierspielen ist von vorgestern und ausgestorben. Malerei war und ist heute immer noch eine eigenständige Kunstform mit hohem Stellenwert und sie,
mit welchem Motiv auch immer, für tot zu erklären, ist einfach nur dumm. Die bemalte Leinwand ist nicht wegzudenken, warum auch? Es besteht ein echtes Bedürfnis nach Bildern, die dazu beitragen, Ordnung ins Leben zu bringen, weil sie uns einen Begriff vom Leben per se machen. Sie bringen Orientierungspunkte in eine rasante Wirklichkeit, sie sind statisch und machen ruhig und meditativ. Über die Bestimmung hinaus, dass Bilder Bilder sind, sind sie eigenständige Sinngebungsinstrumente, was sie wertvoll und unersetzlich macht. Kunst und ebenfalls die Malerei als eine von vielen möglichen Ausdrucksformen befasst sich immer mit dem Leben, mit der Wirklichkeit, auch wenn der Künstler sie differenziert, verschlüsselt und eigensichtig wiedergibt. Meine Anforderungen an mich und meine Malerei sind: das Handwerk gut zu beherrschen und dabei bestrebt zu sein, immer das Beste zu geben und die Technik ständig zu verbessern. Ich pflege die permanente Flut von Ideen, damit ich Neues schöpfen kann, wenn ich Musse dazu habe. Ich platziere in meinen Bildern etwas Unerklärbares, nicht Fassbares, das komplex ist, Spannung erzeugt und den Betrachter dem Gegenteil von Langeweile aussetzen soll. Dies alles geschieht aus einem eigenen, inneren, tiefen Antrieb heraus, immer bereit, auch Opfer um des Schaffens und des Werkes Willen zu bringen. Dazu braucht es viel Geduld und eine Kontinuität an Schaffenskraft, und um die bemühe ich mich täglich. Mein Alltag ist Disziplin und Fleissarbeit; ein geringerer Teil meiner Arbeit ist die Inspiration. Die Freiheit des ungezwungenen Künstlerlebens, von der man vielleicht ver-klärt träumt, existiert so nicht. Ich lasse regelmässig Bilder entstehen, die im Gegensatz zu aller Schnelllebigkeit als Langzeitmedium dienen sollen. Ich pflege bewusst den grossen Aufwand, in der Hoffnung, dass es dem Betrachter gelingt, meinen Bildern mit der nötigen Langsamkeit zu begegnen, denn dann hat er die Chance, mit den Werken genau das zu erleben, was er vielleicht in der rasanten Alltagswelt vermisst. Um nicht Schöngeistigem und Trivialem zu verfallen, bin ich stets bemüht, mein Gespür für latent Bewegendes und Archetypisches sensibel zu erhalten. Es ist mir ein Anliegen, mit den Aussagen meiner Bilder und deren Gehalt zu vertiefen, zu schärfen und einen Bezug zum Zeitgeschehen herzustellen. Der Surrealismus als Stilmittel erlaubt mir bestens, im Dargestellten Dinge aufeinander treffen zu lassen, dergestalt, dass der Betrachter Fragen aufwirft; diese setzen eine Bewegung in Gang, die zu interaktiver Kommunikation mit dem Gemälde führen kann. Das ist durchaus gewollt und eine Form von Bereicherung für Betrachter und Werk. Meine Suche nach dem Mysterium hinter der Normalität des Alltags öffnet manch bizarre Konfrontation oder hintergründige Poesie; es sind die anziehenden und inspirierenden Schnittstellen zwischen Realität und der Reliquie des komplexen Unerklärlichen. Die Überraschung in der beklemmenden oder befreienden Verbindung zu Zeitgeistigem erlebt der Betrachter in der Regel erst auf den zweiten Blick, ein Spannungselement, das ich gerne dem Vordergründigen als subversives Element beifüge. Ein imposantes Szenarium auf der Bildbühne, bestückt mit befremdenden Eingriffen, erinnert an Träume oder zumindest an die Verwandlungs- und Kombinationsmechanismen des Traumes. Dies trägt mit dazu bei, dass meine Bilder eine allgemeingültige Sprache sprechen, die jedem mit seiner Prise Langsamkeit eine Welt öffnet- vertraut und doch seltsam und unbekannt. Dem geneigten Kunstliebhaber, der mein
Schaffen über Jahre mitverfolgt, fällt sicher auf, dass gewisse Dinge in verschiedenen Bildern immer wiederkehren und zwar Hintergrund, Gegenstände, Figuren oder Symbole. Ich bevorzuge z.B. für die Kulisse einer Bildbühne die fantastische Szenerie der Bergwelt, die auf mich eine besondere Anziehungskraft ausübt, welche wiederum in meinen Bildern die Rolle des magischen und heiligen Ortes übernimmt. Mit einer dominanten Bergansicht gebe ich der Bildstimmung eine besondere Präsenz und Prägnanz, was den anderen Teil des Bildes stark beeinflusst. Ich lebe in der Schweiz und erlebe somit die Wunder der Alpen. Diese Faszination inspiriert mich vollends. Tier und Mensch, insbesondere Kinder sind wiederkehrende und tragende Bildelemente, denen man auf sehr vielen Werken begegnet.
Ich male Geschichten und Szenen aus dem Leben und dem Leben schräg daneben. Solche Aufführungen haben ihre Akteure, und diese Rolle überlasse ich mit Vorliebe den Kindern. Dem Betrachter gelingt ein Einstieg ins Bild, ähnlich wie in der Literatur, z.B. über eine Identifikation mit einer der dargestellten Figuren; Kinder vermitteln etwas, wo sich jeder Betrachter auf seine Art finden kann. Die Ideen zu meinen Bildern muss ich nicht suchen, sie springen mich förmlich an und prägen sich in mein Bewusstsein ein, somit kann ich jederzeit von diesem Reichtum schöpfen. Allzu oft bekommen Künstler und Kulturtäter zu hören, dass das, was sie tun, Luxus sei, zumindest die entstandenen Produkte dort einzugliedern seien. Bedauerlicherweise ein stark verbreiteter Irrglaube. Die Erhaltung geistigen Reichtums ist ein Anliegen der Menschlichkeit, denn Kunst ist nie nur Materie und als solche zu bewerten; ein Kunstwerk hat eine Basis: die Idee ist zwar immateriell, ebenso der Geist und die Ausstrahlung eines Werkes, jedoch können Kunstwerke bestens eine Gegenwelt darstellen, die eine ausserordentliche Qualität hat. Ich zitiere nachfolgend den Künstler E. Joller (*1902) über die zeitgemässe Situation eines Künstlers. "Der Künstler lebt nicht in der Abgeschlossenheit des Ateliers und wartet auf Lust zur Arbeit oder auf Inspirationen. Das Leben in seiner chaotischen, ja grausamen Wirklichkeit muss er mit allen teilen, die gesellschaftliche Umwelt sorgt schon dafür, dass das Träumen von Idealen gestört wird. Wir nehmen wahr, dass der heutige Mensch Gegenwelten sucht, im Sport, in Unterhaltung und Betriebsamkeit, in Drogen und oft in Gewalt. Alle brauchen eine Gegenwelt, um die seelische Last der heutigen Zeit irgendwie darin abzubauen oder erträglicher zu machen. Viele glauben auch an Wunder, aber diese Wunder wollen nicht geschehen, was darauf folgt ist Resignation, Polarisierung und Aggression." Ein Künstler, der sich sensibel am Zeitgeschehen orientiert, nimmt die Symptome wahr, und sie beschäftigen ihn in dem Masse, dass er mit Kunst darauf reagieren muss oder kann. Welcher Art dies sein wird, bleibt wertfrei und von technischen Ausdrucksmitteln abhängig. Zentral für meine Motivation ist der Wunsch, mit Malerei zu bewegen und einen Beitrag zu leisten, anderen vielleicht ein wenig Hoffnung zu machen. Wenn es mir dann gelingt, im Publikum Menschen anzusprechen und deren Reaktion auf meine Kunstwerke eine wunderbare Übereinstimmung ist oder wenn dabei eine Art seelischen Gleichklangs zwischen mir und dem Betrachter entsteht, dann ergibt das für die künstlerische Äusserung erst ihren Sinn und Zweck. Wenn wir Menschen uns verstanden fühlen, ermutigt und befreit uns das; dies kann auf erstaunliche Weise in Wechselwirkung mit Kunstwerken und Menschen geschehen; es wird dann ein Band geschlossen zwischen Kunstwerk, Künstler und Betrachter. Auf eindrückliche Art kann dadurch eine Gegenwelt erlebt werden, die die Freiräume geschaffen hat, nach denen sich der moderne Mensch so sehnt. Diese weiteren Kreise, die nun ein Kunstwerk zieht, lassen all dem Trostlosen und Entmutigenden etwas entgegen fliessen. Damit besitzt ein Betrachter oder "Besitzer" eines Werkes nicht nur Materie als Sache, sondern vielmehr erfüllt das Kunstwerk seine Aufgabe, es füllt den leeren Raum! Die Sinnfrage zur Kunst ist beantwortet, und Kunst ist eben darum kein Luxus -

sie hilft leben.

Jürg Danile Matthys